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Bericht vom Shoah-Gedenken am 27.1.2019

Gedenkgottesdienst und szenische Lesung im Idsteiner Gerberhaus fanden großen Zuspruch

pax christi gedenkt seit vielen Jahren am letzten Sonntag im Januar der Opfer der Shoah. Das Wachhalten der Erinnerung an den nationalsozialistischen Völkermord an den Jüd*innen Europas und die Verpflichtung zum Widerstand gegen jede Entwicklung, die dergleichen möglich macht, ist von jeher ein Anliegen unserer Mitglieder. 

In diesem Jahr fiel der letzte Sonntag auf den 27. Januar, dem Tag, an dem vor 74 Jahren sowjetische Soldaten das Vernichtungslager Auschwitz befreiten.

Der Gottesdienst fand mit rund 60 Besucher*innen in sehr dichter Atmosphäre im Gerberhaus statt. Nach der Lesung des Tagesevangeliums und der Todesfuge von Paul Celan wurde fünf Minuten geschwiegen und der ermordeten Jüd*innen gedacht.

Im Anschluß an den Gottesdienst gab am gleichen Ort die Interkulturellen Bühne Frankfurt das Stück Wenn die Welt in Stücke fällt. pax christi hatte das Ensemble nach Idstein eingeladen.

Über das Gedenken berichtet die Idsteiner Zeitung am 29. Januar 2019:

Shoah-Gedenktag im Idsteiner Gerberhaus

Von Patricia Bastian-Geib

Beim Shoah-Gedenktag im Idsteiner Gerberhaus macht die Internationale Bühne Frankfurt mit ihrer szenischen Lesung „Wenn die Welt in Stücke fällt“ die namenlosen Opfer sichtbar.

IDSTEIN - Tiefe Betroffenheit zeigt sich in den Gesichtern der Besucher. Die szenische Lesung „Wenn die Welt in Stücke fällt“ ist ihnen so richtig unter die Haut gegangen. Und das soll sie ja auch. Anlässlich des Shoah-Gedenktages hat die internationale katholische Organisation der Friedensbewegung „Pax Christi“ ins Idsteiner Gerberhaus eingeladen. Vor 74 Jahren, am 27. Januar 1945, befreite die Rote Armee das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz.

1996 wurde dieser Jahrestag offizieller Gedenktag für die sechs Millionen ermordeten Juden sowie alle anderen Opfer des Nationalsozialismus. Auschwitz steht als Synonym für Rassenwahn und Massenmord. Die beste Prävention gegen Völkerhass, Totalitarismus und Faschismus ist das Erinnern und das aktive Auseinandersetzen mit der Geschichte. Diese Intention verfolgt auch die Interkulturelle Bühne Frankfurt mit ihrem Stück. Sie will ein Zeichen gegen das Vergessen setzen. Unter der Regie von Michael Becker werden im Wechsel Textlesungen, Videosequenzen, Fotos und Originaltöne dargeboten. Vergangenheit wird spürbar. Eindrucksvolle Musik und mitunter bizarre Töne – hinter einem schwarzen Vorhang produziert von Wolfgang Prieß – verstärken diese Emotionalität.

Die aufgezeigten Bezüge zum Heute beruhigen keineswegs. So sieht man neben historischen Kriegsfotos auch einen Neonazi mit einem auf den kahl rasierten Schädel tätowierten Hakenkreuz. Eindringlich lesen Monika Reif und Martin Herndlhofer diverse Texte und Zitate. Beispielsweise die Meinung Albert Einsteins, das Töten im Krieg sei um nichts besser als gewöhnlicher Mord.

„Seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt“

Den Kern des Stückes bildet aber der Briefwechsel zwischen Helmuth James von Moltke und seiner Frau Freya, einfühlsam vorgetragen von den Schauspielern Tina Schuckmann und Daniel Hefflebower. Moltke war Widerstandskämpfer während des Nazi-Regimes und wurde im Januar 1944 von der Gestapo verhaftet. Bis zu seiner Hinrichtung ein Jahr später schrieben sich die Eheleute ungezählte Briefe, die von tiefer Liebe und Religiosität sprechen. Hefflebower sitzt in einem Käfig, Schuckmann steht außen daneben. Beide lesen abwechselnd aus den Briefen.

Freya berichtet von den „Söhnchen“ und über ihren Alltag, den sie tapfer auch ohne ihren „Herzwirt“ bewältigt. „Ich bin ruhig und stark. Es geht mir gut, denn ich bin dir nah.“ Sie fragt, wann sie das Schwein wohl am besten zum Schlachter bringen solle und freut sich über die gute Rübenernte. Er bittet darum, ihm frische Hemden und Taschentücher zu schicken. Profane Gespräche, wie sie viele Ehepaare am Küchentisch führen. Gerade sie berühren intensiv angesichts des „Lebens zwischen Leben und Tod“.

Manchmal spricht Verzweiflung aus den Texten, viel häufiger aber tiefer Glaube, Dankbarkeit und Mut. Freya fordert ihren Mann zur Kühnheit auf. Für die Gerichtsverhandlung verfasst er eine offensive Verteidigungsschrift. Er will dem berüchtigten Präsidenten des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, auch im Angesicht des Todes die Stirn bieten. Dazu passt das vorgetragene Zitat: „Seid unbequem. Seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!“ (Günter Eich). Moltke starb am 23. Januar 1945. Seine Frau wanderte nach dem Krieg aus. Sie wurde fast 100 Jahre alt.