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Zeitzeug*innen zu Gast in der Wetterau - 03. bis 08. Oktober 2022

Wenn Mieczyslaw Grochowski am Ende des Gesprächs seine Trompete nimmt und die traurige Melodie spielt, die das Leid der Kinder von Potulice symbolisiert, machen die Schülerinnen und Schüler erst große Augen - und dann kommen einigen von ihnen auch die Tränen. So bewegend erzählt der 83jährige Zeitzeuge von seiner Kindheit im besetzten Polen, von Hunger, Krankheit und Angst vor Bestrafung, die er als vierjähriges Kind zusammen mit seiner Familie im sogenannten „Polenlager Potulice“ erleben musste. Die Schüler*innen sind aber gleichermaßen beeindruckt von der Lebensfreude, die Mieczyslaw Grochowski ausstrahlt, von seiner positiven Einstellung, mit der er sein Leben nach dem Krieg gemeistert hat. Seine Mutter habe ihren Kindern beigebracht, dass sie keinen Hass haben sollen auf andere - auch nicht auf die Deutschen. Nach der Pause kommen einige Schülerinnen zu ihm: „Wir mussten in der Pause die ganze Zeit über ihre Mutter nachdenken. Wir finden das toll, dass sie den Hass aus ihrem Leben verbannt hat - obwohl sie so schlimm behandelt wurde von den Deutschen.“

Solche Momente verdeutlichen, wie wertvoll und eindrücklich die Begegnungen mit Zeitzeug*innen immer noch sind. Auch wenn es immer weniger Überlebende gibt, die die Reise nach Deutschland auf sich nehmen können - einige sind noch da und kommen gerne ins Bistum Mainz.

Nach zwei Jahren Unterbrechung durch die Pandemie konnten vom 03. bis 08. Oktober 2022 wieder eine Zeitzeugin und ein Zeitzeuge in die Region Wetterau kommen. Eine dritte Zeitzeugin, Henriette Kretz aus Antwerpen, konnte leider krankheitsbedingt nicht kommen.

Die Gruppe war vom 03. bis 08. Oktober 2022 im Tagungs- und Bildungszentrum Steinbach/Taunus untergebracht und schilderte an jedem Vormittag Schülerinnen und Schülern ihre Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Begleitet wurden die Zeitzeugen von Ehren- und Hauptamtlichen des Bistums Mainz und des Maximilian-Kolbe-Werkes.

Alodia Witaszek-Napierała aus Bydgoszcz, 84 Jahre alt, wurde als Kind aus ihrer polnischen Familie geraubt und zur Zwangsadoption in eine deutsche Familie gegeben. Mieczyslaw Grochowski aus Danzig, 83 Jahre alt, wurde 1943 mit seiner Familie in das Internierungs- und Arbeitslager Lebrechtsdorf-Potulitz verschleppt und bis 1945 dort inhaftiert.

An den Gesprächen nahmen 280 Schüler*innen der Ernst-Ludwig-Schule Bad Nauheim, des St. Lioba Gymnasium Bad Nauheim, der Berufsschule Karben und der Berufliche Schule Oberhessen Büdingen teil.

Reges Interesse fand die öffentliche Abendveranstaltung mit Zeitzeugin Alodia Witaszek-Napierała in der Wilhelmskirche Bad Nauheim mit rund 90 Besucher*innen. Eine Vielzahl von katholischen und evangelischen Institutionen sowie Bildungsorganisationen der Region hatte zu dem Abend eingeladen. Im Gespräch mit Stephanie Roth berichtete Frau Witaszek-Napierała, wie grausam es ist, als kleines Kind aus der Familie gerissen zu werden, wie tiefgreifend die Zerstörung der Identität und wie mühsam es ist, danach wieder in ein normales Leben zurückzufinden.

Bei goldenem Herbstwetter unternahm die Gruppe einige Ausflüge in die Umgebung – ein wichtiger Ausgleich nach den anstrengenden Gesprächen am Vormittag. „Solange wir fit sind und reisen können, kommen wir wieder“, verabschiedeten sich die beiden Gäste, als sie am Samstag schließlich die Rückreise antraten.

von Stephanie Roth