Brief an die Bischöfe

Die Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz hat am 10. März 2022 eine Stellungnahme unter dem Titel „Der Aggression widerstehen, den Frieden gewinnen, die Opfer unterstützen“ zum Krieg gegen die Ukraine veröffentlicht.  Auf diesen Brief antwortete der Vorstand von pax christi Rhein-Main mit folgendem Schreiben an die beiden Diözesanbischöfe Dr. Georg Bätzing und Dr. Peter Kohlgraf.

Russlands Krieg gegen die Ukraine bedrückt und entsetzt. Das Leid der Bevölkerung ist unermesslich; dieser völkerrechtswidrige Angriffskrieg zerstört und tötet, er ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Am 10. März 2022 hat die Deutsche Bischofskonferenz, haben Sie die Erklärung »Der Aggression widerstehen – Den Frieden gewinnen – Die Opfer unterstützen« veröffentlicht.

Presse und Öffentlichkeit haben vor allem den Satz »Rüstungslieferungen an die Ukraine, die dazu dienen, dass das angegriffene Land sein völkerrechtlich verbrieftes und auch von der kirchlichen Friedensethik bejahtes Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen kann, halten wir deshalb für grundsätzlich legitim« aufgegriffen. Weniger rezipiert wurde, dass Ihre Stellungnahme auch explizit Vorbehalte gegen Rüstungslieferungen benennt, wenn darin mahnend geschrieben steht: »Es ist denjenigen, die die Entscheidung zu treffen haben, aber aufgetragen, präzise zu bedenken, was sie damit aus- und möglicherweise auch anrichten. Dies gilt gleichermaßen für die Befürworter wie für die Gegner von Waffenlieferungen.«

Im Vorstand des »pax christi Regionalverbandes Limburg-Mainz« hat uns der Krieg in der Ukraine und die Frage nach angemessenen, christlich verantwortbaren Reaktionen ebenfalls sehr beschäftigt. Wir verurteilen gemeinsam mit Ihnen die einseitige, brutale und völkerrechtswidrige militärische Gewalt Russlands gegen die Ukraine. Wir haben uns aber mehrheitlich auch zu einem Nein zu den Waffenlieferungen entschlossen. Das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung ist unbestritten, und deren Entscheidung, nicht den Weg der zivilen Verteidigung zu gehen, ist zu respektieren.

Dennoch: Aufgrund der geschichtlichen Erfahrungen – gerade auch in den letzten Jahren und Jahrzehnten – und gestützt auf zahlreiche Untersuchungen in der Friedens- und Konfliktforschung befürchten wir, dass der Schaden für Leib und Leben der Menschen in der Ukraine gravierender ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der latenten russischen Drohung zum Einsatz von Atomwaffen. Auch ziviler Widerstand ist selten ohne Opfer, aber militärischer Widerstand, ermöglicht auch durch Waffenlieferungen, führt in der deutlichen Mehrheit aller Kriege und militärischen Konflikte zu sehr viel mehr Tod und Zerstörung, insbesondere aufseiten der Zivilbevölkerung. Zudem steht zu befürchten, dass die Waffenlieferungen an die Ukraine zu einem Präzedenzfall werden und eine expansivere deutsche und europäische Rüstungsexportpraxis nach sich ziehen; mit all den gerade vonseiten der Kirchen beklagten Folgen. Wir unterstützen daher sehr die Einschätzung in Ihrer Stellungnahme: »In der Stunde der Bedrängnis muss sie (die Kirche) deshalb der Versuchung einer schrankenlosen Gewaltanwendung entschlossen widersprechen. Gewalt und Gegengewalt, auch wenn sie legitim sind, treiben eine Spirale der Gewalt an.«

Unser Nein zu Waffenlieferungen darf keine bequeme Entscheidung aus unseren sicheren Komfortzonen heraus sein und kein unsolidarisches Handeln den Ukrainer:innen gegenüber. Dieses Nein ist nur glaubhaft und sinnvoll und damit aufrechtzuerhalten, wenn wir mit allen Formen gewaltfreien sozialen Widerstands und sozialer Verteidigung uns jetzt aktiv im Konflikt engagieren.

Zentral zielt diese Erkenntnis auf die alte, gewaltfreie Praxis der »Nichtkooperation«, die in Form von Wirtschaftssanktionen wirkmächtig werden kann. Wir plädieren für einen umfassenden sofortigen Finanz-, Handels- und Energieboykott gegen Russland. Und positiv für umfassende Hilfen für Flüchtlinge und Deserteure.

Diese Boykotte werden auch starke Auswirkungen für uns hier in Deutschland und in der EU haben. Dennoch sollten wir dafür eintreten, in Solidarität mit den leidenden Menschen in der Ukraine. Denn: Russlands Führung wird wahrscheinlich nur unter diesem Druck ihr aggressives Handeln beenden.

In der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz wird im Hinblick auf die Entscheidung der Bundesregierung zur massiven Erhöhung der Rüstungs- und Militärausgaben (2-Prozent-Ziel und 100 Milliarden Euro Sonderfonds) formuliert: »Diese Ziele sind grundsätzlich plausibel und sollten nicht pauschal mit politischen Kampfbegriffen wie ›Aufrüstungspolitik‹ oder ›Militarisierung der Außenpolitik‹ belegt werden.« Im Anschluss wird darauf hingewiesen, »dass der deutsche Beitrag zum Frieden in der Welt viele Aufgaben umfasst, die nicht in den Hintergrund rücken dürfen. Nicht zuletzt zählen dazu die Verbesserung der Lebensbedingungen in armen Ländern und eine entschlossene Klimapolitik …«

Dieser abrupte Politikwechsel führt u. E. in eine falsche Richtung, und wir befürchten verheerende Folgen für den deutschen Beitrag zur Bewältigung der zentralen Herausforderungen der Gegenwart: Die entschiedene Bekämpfung der Klimaerhitzung, den Kampf gegen Hunger und für die Etablierung einer weltweiten Friedensordnung. Die finanzielle Dimension dieser Entscheidung wird sehr wahrscheinlich für viele Jahre die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands und in Teilen auch der EU auf den Vorrang militärisch gestützter Sicherheitspolitik festlegen. Damit wird nicht nur keines der o. g. zentralen Problemfelder gelöst, für ihre Bearbeitung werden zudem deutlich weniger Mittel zur Verfügung stehen. Zudem erschließt sich uns nicht, woher die Gewissheit rührt, dass eine massive militärische Aufrüstung Deutschlands und der NATO den Frieden sichern würde. Heute schon betragen die Militärausgaben der NATO das 17-fache der russischen Ausgaben, und ihre konventionellen Waffensysteme scheinen den russischen deutlich überlegen. Dennoch hat dies die russische Regierung nicht von einem Angriffskrieg gegen die Ukraine abgehalten. Und eine mangelnde finanzielle Ausstattung – immerhin derzeit knapp 50 Milliarden Euro im Jahr – ist sicher nicht der Hauptgrund für den derzeitigen Zustand der Bundeswehr. Zahlreiche Expert:innen weisen eher auf eine häufig unsachgemäße Verwendung der vorhandenen Mittel hin. Und nicht zuletzt: Eine solche grundlegende politische Weichenstellung, die wegen ihrer Langfristigkeit gar keine kurzfristigen Auswirkungen auf eine Beendigung des Krieges gegen die Ukraine hat, darf in einem demokratischen Rechtsstaat nicht ohne ausführliche öffentliche Debatte getroffen werden. Da weder eine präzise Zieldefinition noch eine nachvollziehbare Begründung für die Auswahl geeigneter Mittel, ihre Eignung zur Erreichung dieser Ziele sowie für die dafür entstehenden Kosten bekannt ist, scheint diese Entscheidung der Bundesregierung eher eine Reaktion auf außenpolitischen Druck als Ergebnis einer sachgerechten Abwägung zu sein.

Sehr geehrter Bischof Georg, sehr geehrter Bischof Peter,

wir bitten Sie, unsere Gedanken und Überlegungen zu diesem schrecklichen Krieg wahrzunehmen. Wir bitten Sie weiter, alle Ihre Möglichkeiten, hinein in die Politik, aber auch die Orthodoxie, zu nutzen, um für einen raschen Waffenstillstand und anschließende Verhandlungen unter dem Dach der Vereinten Nationen zu werben.

Wir als Ihre katholische Friedensbewegung in den Bistümern Limburg und Mainz wollen unsere Einschätzungen und unser Handeln reflektieren und dies immer wieder neu an der Wirklichkeit überprüfen. Wir engagieren uns und streiten für Frieden und Versöhnung und wollen dabei mitwirken, die Möglichkeiten ziviler Verteidigung intensiver zu erforschen und einzuüben, um die realen Möglichkeiten einer wirklichen Friedenspolitik zu erweitern. Dabei lassen wir uns von Papst Franziskus inspirieren:

»Liebe Schwestern und Brüder (…) Zum Schluss möchte ich euch bitten, stellt euch der Angst entgegen mit einem Leben im Dienst am anderen, in Solidarität und Demut zugunsten der einfachen Menschen und vor allem derjenigen, die am meisten leiden. Ihr werdet vieles falsch machen, wir alle machen Fehler, aber wenn wir auf diesem Weg bleiben, werden wir früher als später die Früchte sehen.

Und ich bestehe darauf, das beste Gegenmittel gegen den Terror ist die Liebe. Liebe heilt alles.«

Pax et Bonum