Nachricht

Bericht von der Veranstaltung anläßlich des Hamas-Terrorangriffs in Idstein

Meine Sehnsucht nach Frieden in Nahost

 

Statement von Ute Schäfer bei einer Gedenkveranstaltung in Idstein für die Opfer des Massakers von Hamas-Terroristen

An der Gedenkveranstaltung am 21.10.2023 vor dem Idsteiner Rathaus nahmen etwa 60 Personen teil. Das Netzwerk »Idstein bleibt bunt«, zu dem auch pax christi-Idstein gehört, hatte dazu aufgerufen, um Raum für Gedenken in der Stille oder im Gebet zu geben und um der Hoffnung auf Frieden Ausdruck zu verleihen.

Ute Schäfer von der Idsteiner pax christi-Gruppe hielt einen persönlichen Redebeitrag mit lebensgeschichtlichem Bezug zum Land, zu den Menschen und zur Konfliktsituation.

„Eine Collage aus mehr als 40 Jahren Beziehung zu Israel und Palästina, Hintergrund meiner Sehnsucht nach Frieden in Nahost

Alles beginnt mit der Freundschaft zu einem der ersten Freiwilligen in den Sechzigerjahren von Aktion Sühnezeichen in Israel.

Meine erste Reise ins Land. Die Informationen über den Holocaust aus der Schule verändern sich im Kibbuz der Überlebenden des Warschauer Ghettos. Neue Schärfe und Aktualität.

Verbundenheit mit Land und Leuten, Begeisterung, von Anfang an auch Irritation, Angst und Schmerz, Traurigkeit.

Wir sollen keine Reiseführer mitnehmen, wo die rote Linie eingezeichnet ist, die besetzten Gebiete in der Westbank, in Gaza und im Norden.

Ein Kneipenabend mit palästinensischen Jugendlichen in Ostjerusalem. Unser Kibbuz Erez am Rand des Gazastreifens ist für sie keine gute Adresse. Wie können wir dort arbeiten, unsere Ferien verbringen?

Ein junger, sanfter Soldat, der frustriert ist ohne aktiven Einsatz für sein Land zur Befreiung von Geiseln. Ein romantischer Abend mit Gespräch über Verteidigung und Liebe zur Heimat; seltsames Thema für die junge Deutsche Jahrgang 1957.

Sprengstoffanschlag in Be‘er Scheva nach Regierungswechsel, 25 Verletzte, zwei Schwerverletzte. Wir ducken uns unter den Tisch, dann rennen wir, so schnell wir können – „bitachon“, Sicherheit, das lernen wir schnell.

Intifada („abschütteln“), heißt der erste Aufstand der jungen Palästinenser:innen. Eine israelische Reaktion: „Brecht ihnen die Knochen!“. Am See Genezareth, im Benediktinerkloster Kafarnaum, werden sie gesund gepflegt.

So viel Geschichte und Kultur, in Schichten ausgegraben, der Jugendarbeiter zieht die Bibel aus der Hosentasche und zitiert zu der Stelle, an der wir gerade stehen. Erstmals begreife ich, dass die Bibel ein Geschichtsbuch, eine Sammlung ist, auch gewalttätig und widersprüchlich wie die Region selbst.

Die Region ist umkämpft, besiedelt, wieder verlassen, kolonisiert, aufgegeben, alle haben Spuren hinterlassen und Rechtsansprüche begründet, sie haben untereinander und über Generationen Familien gegründet, gelacht und gestritten, Kochrezepte vermischt, aber auch in verschiedenen Konstellationen gegeneinander Kriege geführt. Manche sind geblieben, andere wieder zurückgekehrt. Die Region ist klein, ungefähr wie Hessen, zu klein für Grenzen. Die Region hat zu wenig Wasser, als dass es nicht gehütet und geteilt werden müsste. Gleiches Recht auf gleiches Gebiet lässt sich mit Gewalt behaupten, aber nicht dauerhaft durchsetzen. Religion spielt eine wichtige Rolle, für das Recht auf das Land, für heiligen Krieg, aber auch für Versöhnungsbereitschaft und Liebe.

Ich bin geblieben, äußerlich und innerlich, bei Besuchen im Land, mit Musik, Veranstaltungen, Nachrichten, Literatur. Ich habe Menschen kennengelernt, die sich nicht auf die Seite einer Konfliktpartei schlagen, auch wenn der eigene Schmerz, der Verlust von Angehörigen und Land drohen übermächtig, Zorn und Angst drohen überwältigend zu werden.

Meine eigene Bewegung, pax christi, hat dafür den Begriff der doppelten bzw. der ungeteilten Solidarität entwickelt. Damit bin ich allen in der palästinensischen und der israelischen Gesellschaft verbunden, die „... sich für ein gemeinsames Leben, nicht gegenseitige Zerstörung einsetzen, für kompromisslose Humanität beider Seiten …“ (Omri Boehm). Diese Menschen gibt es in beiden Gesellschaften, an unerwarteten Orten: Soldat:innen, die in „Breaking the Silence“ das Schweigen über unrechtmäßige Einsätze des Militärs brechen; Chefs des israelischen Inlandsgeheimdienstes, die Achtung und Hoffnung für Palästinenser:innen als Voraussetzung für gemeinsame Sicherheit einklagen; Jugendliche, die in gemischten Feriencamps erstmalig mit Menschen der anderen Gruppe sprechen und ihre Geschichte hören. Sie alle stehen gegen Nationalismus und Fundamentalismus, die sich in ihrer Region, aber auch weltweit ausbreiten, und wir dürfen sie damit nicht alleinlassen.