In der aktuellen pax christi-Zeitschrift 2/2016 berichten wir über die Flüchtlingsinitiative in Nassau. An dieser Stelle veröffentlichen wir die dort erwähnten Bilder von Maha Daher, einer Kunstlehrerin aus Syrien.
Außerdem dokumentieren wir einen ausführlichen Bericht des Redakteurs Bernd-Christoph Matern von der Evangelischen Öffentlichkeitsarbeit Rhein-Lahn.
Bilder zwischen blutigen Tränen und hoffenden Träumen
Junge Muslimin hat ihre Flucht von Syrien ins Nassauer Land in eindrucksvollen Bildern dokumentiert
Rot tropfendes Blut, Schmerz verzerrte Gesichter und ein einbeiniges Kind, das mit bunten Bällen auf hohen Wellen balanciert – wer die Bilder von Maha Daher betrachtet, fühlt sich hin- und hergerissen. Für die junge Frau, die von Syrien nach Deutschland flüchtete, bedeutet Malen ein Ventil, ihre Gefühle auszudrücken. Das Leid, das sie in ihrer Heimat erlebt hat, macht schon Außenstehende sprachlos. Dafür sprechen die Bilder der 34-Jährigen eine umso deutlichere Sprache.
„Maha ist eine starke Frau“, sagt ihre Mutter. Vor drei Monaten hat sie mit ihren drei Töchtern in Nassau an der Lahn im Rhein-Lahn-Kreis ein Domizil gefunden. Stärke bewiesen alle vier Frauen nicht nur bei ihrer Flucht aus Syrien. Die brauchten sie zuletzt auch in ihrer Heimat, die sie 2014 verließen. Ein Bruder von ihr blieb zurück. Mahas andere fünf Brüder kamen in den Folgejahren des „arabischen Frühlings“ bei Demonstrationen ums Leben. Ein in düsteres Rot getauchtes Bild zeigt einen getöteten Bruder, dessen blutigen Körper eine Menge auf Händen trägt; umgekommen im Jahr 2011, als er gegen die Assad-Regierung auf die Straße ging. Der jungen Frau kommen die Tränen, als sie die Gemälde erklärt. Ein anderes Bild erzählt vom Versuch eines Nachbarn, auf einem Feld Essen für die hungrige Familie zu holen. Der dunkelrote Bildrand symbolisiert die tödlichen Schüsse, denen er dabei zum Opfer fiel.
„Wir wollten doch nur Freiheit und Leben und haben Tod und Blut bekommen“, beschreibt sie die letzten Jahre in ihrer Heimat. Stacheldraht, Ruinen, Blut tränende Augen, Haare und Körper sprechen davon in ihren Bildern. In Syrien sei jetzt nur noch der Tod zuhause, sagt sie. „Jede Mutter hat dort Kinder verloren.“ Und dann ist da die Zeichnung von einer Frau, die eine Faust stark und mutig nach oben reckt, während der andere Arm schützend um drei Mädchen gelegt ist. So hat Daher ihre Mutter gezeichnet nach dem Entschluss, mit ihr und den beiden Schwestern aus der blutigen Heimat zu fliehen. Links ein dunkler Schatten, der sich nach rechts in Helle verwandelt. Ausdruck von Hoffnung auf eine bessere und friedlichere Zukunft.
„Schon als fünfjähriges Kind hat Maha gemalt“, erinnert sich ihre Mutter. Das Hobby hat sie später zum Beruf gemacht. In der Nähe von Damaskus unterrichtete sie an einer Schule vier- bis 14-jährige Kinder im Malen und Zeichnen. Sogar ein Buch mit Bildern für Kinder hat sie publiziert. „Ich muss nicht den ganzen Tag reden, schließlich kann man auch im Malen sehr gut ausdrücken, was in einem vorgeht.“ In der Motivwahl drückt sich die innere Wandlung der jungen Muslimin aus. Waren es früher Landschaftsbilder, die sie mit Öl oder Stiften zu Papier brachte, rührte sie seit Beginn des Bürgerkrieges vor allem das Leid der Kinder, das sie täglich miterlebte. „Kinder kamen mit abgetrennten Beinen in die Schule, andere hatten nichts zum Trinken und Essen“, beschreibt sie den Unterricht. Die ängstlichen Kinderaugen vor Bomben und Tod bringenden Flugzeugen wird sie wohl nie vergessen. „Warum soll ich Mensch sein? Besser wäre es, ein Baum zu sein!“, erzählt sie von ihren Gedanken und Gefühlen in Syrien.
Im April 2014 floh die Mutter mit ihren Töchtern übers Meer Richtung Türkei. Auch für dieses einschneidende Wagnis gibt es ein Bild. Auf der einen Seite ein brauner Landstrich mit schwarzen Rauchschwaden und umgefallenen Minaretten. Auf der anderen Seite Landstriche, die in Regenbogenfarben leuchten. Dorthin streckt ein Kind beide Arme aus. Die Füße und Hosen noch in Grau und Braun, während Oberteil und Haare schon in Blau, Gelb, Orange und Grün – Dahers Lieblingsfarbe – gemalt sind. Vom Krieg ins Leben gehen. Das war ihr Wunsch. Das bleibt ihre Hoffnung.
Davon sprechen viele ihrer Bilder, bei denen ihre Träume die Buntstifte führten und die sie nur noch auf einem Handy hat retten können. Die Originale – so hofft sie zumindest – befinden sich noch in der Türkei, wo sich die vier Frauen nach ihrer Flucht gut anderthalb Jahre aufhielten, bevor sie Ende November nach Deutschland kamen. Ein putzendes Kind, das mit dem Staubsauger Panzer, Schwerter und alles Böse und Schwarze einsaugt, frei wehende Haare als Symbol für den unbekannten Weg, Tauben als Symbol des Friedens, ein lächelndes Kind mit der Taube auf dem Kopf, ein anderes, das ein buntes Zuhause wie eine Schildkröte ihr Haus mitnehmen möchte. Und immer wieder: fröhliche Formen und Farben, die in krassem Gegensatz zu den von Schmerz, Tod und Trauer geprägten Zeichnungen über die Heimat stehen.
Ein Bild liebt sie besonders: fünf mit weißen Strichen symbolisierte Menschen in verschiedensten Posen, alles in Blau gehalten. Nur die Herzen setzen sich farblich ab. „So verschieden die Menschen sind, es braucht vor allem ein gutes Herz“, erklärt Daher. Viele davon hat sie zuletzt im Nassauer Land kennen gelernt. „Wir haben großes Glück gehabt, dass wir Leute hatten, die uns halfen“, zeigt sich Daher dankbar. Dazu zählt sie auch das Team der ökumenischen Flüchtlingsinitiative Nassau. „Die Bilder haben mich umgehauen, als ich sie sah“, sagt Martina Kissel-Staude. „So viel Trauer, so viel Lebensfreude in Einem, das ist imponierend und berührend zugleich“, sagt die Leiterin der Initiative und hofft, dass die Syrerin auch in Deutschland ihre ausdrucksstarke Kunst weitergeben kann.
Und welche Bilder und Farben schweben Daher für ihre Zukunft vor? Im Gegensatz zu ihrer Mutter, die nicht mehr in die Heimat will, kann sie sich eine Rückkehr durchaus vorstellen. Auf ein „freies Syrien“ hofft sie dabei. „Wir beten jeden Tag, dass in Syrien irgendwann wieder Friede herrscht.“ Mit Unterstützung aus aller Welt könne das auch gelingen. „Jetzt möchte ich erst einmal die deutsche Sprache erlernen“, übersetzt die Dolmetscherin das Arabische der Syrerin ins Deutsche. Und selbst wenn sie diese nicht so perfekt beherrschen wird: Die eindrückliche Sprache ihrer Bilder ist schon jetzt international zu verstehen.
Bernd-Christoph Matern
Zu den Fotos:
Auch in Nassau hat Maha Daher wieder mit dem Malen begonnen. Ein Lieblingsmotiv von ihr sind trotz schrecklicher Erlebnisse in der Heimat und auf der Flucht Friedenstauben geblieben.
Zum Spektrum ihrer Gemälde gehört die Verarbeitung schrecklicher Erlebnisse wie der Ermordung einer ihrer Brüder.
Wie eine Pieta: Eine andere Mutter mit Kindern, gezeichnet auf der Flucht in Jordanien.
Hoffnung im größten Leid: Ein beinamputiertes Kind inmitten bunter Luftballons.