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"Russland: der schwierige Partner"

Leitartikel der neuen pax christi-Zeitschrift und Buchempfehlungen von Viktor Funke

Im Februar 2017 trafen sich fast 60 pax christi-Mitglieder und Interessierte aus der Rhein-Main-Region in Frankfurt-Oberrad, um sich zu begegnen und inhaltlich auszutauschen zum Thema "Russland: Friedensmacht, Kriegstreiber oder Status-quo-Verteidiger?". Wir <link http: pax-christi.de publikationen meldungen>berichteten hier über das gelungene Regionaltreffen.

Unser Referent Viktor Funk (Osteuroparedakteur der Frankfurter Rundschau) hat den Leitartikel der <link internal link in current>aktuellen pax christi-Zeitschrift geschrieben und uns kommentierte Buchempfehlungen zum Thema zur Verfügung gestellt:

Larry Wolff: “Inventing Eastern Europe; The Map of Civilization on the Mind of the Enlightenment.”
Das Buch handelt davon, wie seit dem Zeitalter der Aufklärung ein bestimmtes Bild von Ländern östlich der westeuropäischen Staaten entstand.

Michail Chodorkowski: Mein Weg. Ein politisches Bekenntnis.“ dva;
Chodorkowski schildert darin die Zeit seit Ende der 80er bis in die Haftzeit hinein, seine Perspektive wird ergänzt und korrigiert durch den Blick der russischen Journalistin Natalija Geworkjan. Das Buch bietet interessante Einblicke in die Machtkämpfe zwischen Oligarchen und Putin-Getreuen.

Mascha Gessen: Der Mann ohne Gesicht: Wladimir Putin. Piper.
Ein Einblick in die Umwälzungen in der Sowjetunion nach 1991 und das persönliche Leben Putins. Es geht auch um Psychologie, also den Blick auf die Motive der Handelnden.

Carlo Masala: Weltunordnung: Die globalen Krisen und das Versagen des Westen. C. H. Beck.
Masala kritisiert die Interventionspolitik westlicher Staaten seit 1991. Wie bereits in Vortrag gesagt, halte ich die Analyse für sehr beachtenswert, teile aber die Empfehlungen am Schluss nicht.

Hier der Leitartikel aus der pax christi-Zeitschrift 1/2017:

Russland: der schwierige Partner

Russland bewegt die Welt, mal wieder. Doch dieses Mal ist es nicht etwa der Zerfall eines Reiches oder ein innerrussischer Krieg. Dieses Mal wirbelt Russland die globalen Machtverhältnisse durcheinander.

26 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion spielt Russland eine eigenartige Rolle auf der diplomatischen Weltbühne. Auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion hat Russland an Einfluss verloren, im globalen Maßstab jedoch an Einfluss gewonnen. Diese Entwicklungen hängen eng miteinander zusammen und sind maßgeblich geprägt durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Die russischstämmige Journalistin Mascha Gessen hat ein sehr empfehlenswertes Buch über Putin geschrieben: »The Man Without a Face«. Für den Geheimdienstler, seine Kollegen und die Militärs war der Zerfall der Sowjetunion gleichbedeutend mit dem Zusammenbruch ihrer persönlichen Karrieren. Während sie ihre Privilegien verloren, sahen sie zugleich, wie die verhassten intellektuellen Zivilisten wie Michail Chodorkowski & Co zu Reichtum kamen.

Mit dem Aufstieg Putins zum FSB-Direktor, Premierminister und Präsidenten begannen Geheimdienstler und Militärs mit einer Restauration der »Organe«. Der Fall Michail Chodorkwoski zeigt gut, dass die neue Regierung aus Militär und Geheimdienst den Machtkampf bei der Umverteilung schließlich für sich entschieden und demokratische Entwicklungen im Land erstickt hat.

Um Russland herum nahmen einige Staaten andere Entwicklungen. Die »Farbrevolutionen« 2003 in Georgien, 2004 die Orange Revolution in der Ukraine und 2005 der Aufstand in Kirgisien waren aus westlicher Perspektive begrüßenswert, aus der Perspektive der Machthabenden in Russland stellten sie eine Bedrohung dar. Denn die Forderungen der Regimekritiker in der Nachbarschaft sind die gleichen wie die Forderungen der Kritiker der russischen Regierungen.

Nach der Flucht des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch aus Kiew nach Russland hielt Putin im März 2014 eine Pressekonferenz ab und belehrte dabei, wie ein Wechsel in der politischen Führung eines Staates vonstattengeht. Er sprach zwar über die Ukraine, tatsächlich warnte er aber die russische Opposition vor ähnlichen Umstürzen.

Russland und die Welt

Seit seiner ersten Amtsperiode als Präsident hatte Putin von der westlichen Welt verlangt, auf Augenhöhe behandelt zu werden. Zunächst vergeblich. Sowohl der Krieg gegen Georgien als auch die Intervention in der Ukraine sind das Ergebnis von ‒aus russischer Sicht ‒ungerechten Behandlungen seitens des Westens. Man muss diese Einschätzung nicht teilen. Doch das Problem ist, dass die russische Regierung die vermeintlichen Demütigungen zur Rechtfertigung des eigenen Handelns heranzieht – eine Sichtweise, die von großen Teilen der russischen Bevölkerung durchaus geteilt wird.

Insbesondere im Fall der Ukraine hat der Westen auch durchaus Grund, kritisch mit sich ins Gericht zu gehen. Es stellt sich die Frage, ob die Erweiterung »unseres Wirtschaftsraumes « ‒darum geht es bei dem Assoziierungsabkommen zuallererst ‒ tatsächlich all die Menschenleben wert war. Seit Minsk II im Februar 2015, das zum Frieden in der Konfliktregion Donbass führen sollte, haben offensichtlich weder Russland noch die Ukraine Interesse an größeren militärischen Auseinandersetzungen, doch beide Seiten demonstrieren weiterhin ihre grundsätzliche Bereitschaft dazu. Laut OSZE, die als Beobachterin in der Kriegsregion unterwegs ist, müsste Kiew nun weitere Schritte unternehmen, um Minsk II umzusetzen. Moskau würde dann darauf pochen, dass die Sanktionen der EU und der USA aufgehoben werden. Kiew pokert dagegen. Aber Moskau pokert auch ‒und zwar in Syrien.

Wendepunkt Syrien

Syrien ist so etwas wie der »turning point«. Russland hat nicht nur dem syrischen Diktator Baschar al-Assad geholfen, den Krieg zu seinen Gunsten zu drehen. Russland hat mit den syrischen Flüchtlingen außerdem ein Erpressungsinstrument gegenüber der EU gefunden, das im Jahr wichtiger Wahlen in der EU besonders effektiv ist. So tritt Moskau gegenüber dem Westen heute deutlich selbstbewusster auf als noch vor ein paar Jahren.

Einen Hinweis darauf, dass auch die westliche Staatengemeinschaft Verantwortung für die aktuellen Miseren in der Ukraine und Syrien trägt, beschreibt sehr gut Carlo Masala in seinem Buch »Weltunordnung«. Er geht kritisch mit der westlichen Interventionspolitik seit dem Ende des Kalten Krieges ins Gericht. Hinter der Idee der »aktiven Einmischungen« stehen aus seiner Sicht insbesondere einige westliche Politiker, die hiermit neue Leitlinien ihres außenpolitischen Handelns, maßgeblich angeleitet von den USA, definiert haben. Diese Leitlinien sehen Interventionsmaßnahmen vor und zwar dann, wenn erstens die UN versagt, menschliches Leiden an bestimmten Orten wie Darfur zu lindern; zweitens, um angemessen in Fällen von Katastrophen oder bei Epidemien zu handeln, und drittens, um »ungehinderten Zugang zu Märkten für jene zu schaffen, die ökonomische und politische Freiheiten bejahen«. In der Konsequenz bedeutet insbesondere Letzteres, dass eine Gruppe von Politikern sich selbst die Legitimation gegeben hat zu entscheiden, welche Staaten welchen Grad von Souveränität verdienen. Damit wird das Prinzip der Gleichheit aller Staaten in der UN negiert. Hierin liegt eine Ursache für die internationalen Konflikte, um die es in diesem Artikel geht.

Bezogen auf Russland lässt sich also sagen: Moskau will gleichberechtigt mit den USA als eine Supermacht mitreden und ist nach einigen Enttäuschungen bereit, sich den nötigen Respekt auch gewaltsam zu verschaffen. Vor 16 Jahren hieß es »Who is Mr Putin?« Heute wird Putin im Westen als eine Art Präsidentenmacher für Donald Trump dargestellt. Eines hat er damit jedenfalls schon erreicht: Putin wird inzwischen sehr ernst genommen. Doch im Umgang mit ihm ist noch keine grundsätzliche Veränderungen zu erkennen.

Wie mit Russland umgehen?

Bezogen auf den Krieg in der Ukraine gibt es stabile Gesprächskanäle, die nicht zuletzt Deutschland aufgebaut hat. Aber ihre Funktion scheint sich bisher darin zu erschöpfen, den Konflikt im Donbass niedrigschwellig zu halten. Die Situation ist verfahren, eine einfache Lösung nicht in Sicht. Hinzu kommt, dass in Russland selbst die Opposition neu erwacht. Bei den Protesten im März zeigten in mehr als 80 Städten landesweit Menschen ihren Unmut mit dem Kreml.

Aus meiner Sicht gibt es verschiedene Möglichkeiten, mit Russland so umzugehen, dass die Regierung keine Rechtfertigung für mögliche Aggressionen erhält. Auf der internationalen Ebene sollten zuallererst die Bestrebungen, die Nato zu erweitern zumindest auf Eis gelegt werden. Hier geht es derzeit um Montenegro.

Bezogen auf Syrien könnte Russland eine größere Rolle bei Friedensverhandlungen abverlangt werden. Es hat nicht nur Zugang zum Assad-Regime, sondern auch zu den verschiedenen kurdischen Organisationen und dem Iran. Hier könnte es sich lohnen neben Genf noch einen weiteren Verhandlungskanal zu etablieren. Das Ziel für Syrien sollte zunächst nicht Frieden sondern ein Ende der Kämpfe sein. Es sind einfach zu viele Konflikte innerhalb des großen Krieges, um vom Frieden reden zu können.

Was die innerrussische Entwicklung angeht, kann Europa und dabei besonders Deutschland auf alte Kooperationen setzen und Formate wie den St. Petersburger Dialog mit neuem Leben füllen. Zivilgesellschaftliche Gruppen und die Kirchen können Begegnungen organisieren. Die Erfahrungen, die wir in Deutschland mit dem Schüler- und Studentenaustausch mit angelsächsischen Ländern gemacht haben, könnten auch hilfreich sein, West und Ost näher zusammen zu bringen. Insbesondere wäre es sinnvoll, russischen jungen Menschen Erfahrungen in Europa zu ermöglich, sie hier studieren und arbeiten zu lassen. Nur durch eigene emotionale Erlebnisse verändern sich Haltungen. Dass es sich lohnen könnte, auf Austausch und Begegnung zu setzen, zeigen die jüngsten Demonstrationen in Russland. Dort waren überraschend viele junge Menschen dabei. Das belegt, dass das russische Patriotismusprogramm nicht überall verfängt und kritisch denkende Menschen in allen Schichten und Generationen zu finden sind.

Viktor Funk (38)ist Politik-Redakteur bei der Frankfurter Rundschau mit Schwerpunkt Osteuropa