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Sie werden sicher wohnen!

Kyriegebet zur Eröffnung der Aktion Wanderfriedenskerze von Pfarrerin Sabine Müller-Langsdorf

„Sie werden sicher wohnen“ sagt der Prophet Micha vor 2500 Jahre in eine Situation hinein, als Tausende auf der Flucht und vertrieben waren.

Micha hätte sich vermutlich nicht vorstellen können, wie viele Menschen heute auf der Flucht sind. Nach Schätzung des UN Flüchtlingshilfswerkes fast 60 Millionen.

In Europa beschäftigen uns gerade die Menschen, die mit dem Boot über das Mittelmeer kommen. (Sabine Müller-Langsdorf zeigt eine Schwimmweste)

Diese Schwimmweste, sie ist für Kinder von 2-4 Jahren- habe ich von der Insel Lesbos mitgebracht. Lesbos ist eine griechische Insel sehr nahe der türkischen Küste. Ich war dort gerade vier Wochen, habe mit vielen Menschen auf der Flucht geredet, habe Projekte kennengelernt, die versuchen zu helfen. Wer flieht? Warum?
Auf Lesbos kamen im Januar diesen Jahres 748 Flüchtlinge an. Im August waren es 24.000. Mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen, die meisten könnten meine Kinder sein: zwischen 28 und 30 Jahre alt. Zweidrittel kommen aus Syrien. Das Haus zerbombt, die Brüder tot oder verwundet, die Schwestern schon geflüchtet. So machen sie sich auf, die jungen Männer. Weil sie kein Kanonenfutter für einen Diktator sein wollen und weil sie Angst haben, dass der IS sie holt.

Andere kommen aus dem zerstörten Irak. Sie fliehen auch vor den Milizen des IS. Wer aus Afghanistan kommt, flieht vor den Taliban und wer aus Somalia kommt, weiß vom Bürgerkrieg zu erzählen. So treffen sich Tausende und Abertausende momentan an den Außengrenzen Europas. Nehmen gefährliche und teure Überfahrten auf dem Meer in Kauf. Ich habe Boote ankommen sehen und ich habe Hubschrauber gesehen, die nach den Toten der gekenterten Boote suchen. Ich habe in die weinenden Gesichter von Familienvätern geschaut, in denen sich Erschöpfung und Erleichterung in den Tränen Bahn geschaffen haben: Wir sind in Europa!

Kyrie eleison.

 

Vier Wochen habe ich auf der Insel verbracht. Sie ist so groß wie der RMV Verbund in seiner größten Ausdehnung. Sie hat aber nur 90.000 Einwohner. Im August kamen 24.000 Flüchtlinge. Ich habe Menschen am Straßenrand schlafen sehen. SEs gibt zwei völlig überfüllte Aufnahmelager für die Flüchtlinge. Die Menschen kommen meist im Norden der Insel mit den Booten an. Sie müssen gut 60 Km bis zur Registrierungsstelle in den Süden laufen. Ich habe am Straßenrand Menschen barfuß laufen sehen. Mit nichts als einer Flasche Wasser in der brennenden Sommerhitze. Ich habe auch gesehen, wie Touristen oder Einheimische anhielten mit dem Privatwagen oder dem Mietauto und Wasser verschenkten. Oder Menschen mitnahmen. Das galt bis vor kurzem als Straftat, weil „Schleppertum“. Ich habe einmal eine schwangere Frau und eine Familie mit drei Kindern mitgenommen, die gerade angekommen waren. Sie zeigten auf ihre Klamotten: Die sind nass. Wir haben mein Badehandtuch unterlegt. Am Anfang weinten die Kinder und hatten Angst. Nach fünf Minuten begannen sie, ein Lied vor sich hin zu summen. So sind Kinder. Im Hier und Jetzt. Unglaublich. Die schwangere Frau fiel neben mir in einen erschöpften tiefen Schlaf. Ich habe sie alle in den Hafen der Hauptstadt gebracht. Dort müssen sie sich registrieren lassen, um weiter reisen zu dürfen aufs europäische Festland. Was ihnen dort bevorsteht, wissen sie nur theoretisch.

Kyrie eleison.

 

Wo werden sie hingehen, die schwangere Frau und die Familie und die vielen vielen jungen Männer? Die haben mir immer das Herz zerrissen. Sie könnten mein Sohn sein, meine Tochter. Ich würde es genauso machen, wenn hier Krieg wäre. Oder eine Diktatur. Die Kinder wegschicken. Die Jungen, damit sie leben. Ich würde mein letztes Geld zusammenkratzen und alle Hebel in Bewegung setzen, damit meine Kinder überleben.

Überleben, um nichts anderes geht es denen, die fliehen. „Zero, Zero, Zero“ sagte ein junger Mann aus Aleppo. So gehen sie. Mit nichts. Und so kommen sie. Auch hierher. Nach Deutschland. Ich bin froh um die klaren Worte unserer Bundeskanzlerin in den letzten Tagen. Ja, wir können das schaffen. Menschen können wegsehen und Menschen können hinsehen. Und helfen. Einmal musste ich auf Lesbos weinen, als ich las, dass die Bundeswehr im südlichen Mittelmeer Personal zur Verfügung stellt, um Flüchtlinge noch besser verhören und überprüfen zu können. Warum müssen wir immer das Bild des perfekten  Polizisten in Deutschland abgeben? Mir würde es besser gefallen, die Seenotrettung zu stärken und den Katastrophenschutz nach Griechenland zu schicken. ich schäme mich für eine europäische Asylpolitik, die durch Zäune den Schleppern das Geschäft bereitet und sich vor Flüchtlingen schützt.

Was wird aus der schwangeren Frau, der Familie mit den kleinen Kindern, den vielen jungen Männern? Ich wünsche ihnen, „dass sie sicher wohnen“.

Kyrie eleison.

Sabine Müller Langsdorf ist Friedenspfarrerin im Zentrum Ökumene der EKHN und EKKW und bereitet die Aktion Wanderfriedenskerze jährlich mit vor.

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Dieses Gebet und viel weiteres Material zum Nachlesen und zum Vorbereiten Ihres Gebets mit einer Wanderfriedenskerze finden Sie auf unserer <link internal-link internal link in current>Aktionsseite. Dort finden Sie auch Informationen zum oben im Bild sichtbaren Netzwerk w2eu (Welcome to Europe), für das beim Eröffnungsgottesdienst am 1. September 2015 im Frankfurter Dom über 500 Euro gesammelt wurden.