pax christi Rhein-Main fordert verantwortungsvolle Debatte und Politik im Umgang mit syrischen Geflüchteten
Am 8. Dezember 2024 wurde das Assad-Regime in Syrien gestürzt, und Präsident Bashar al-Assad verließ Damaskus. In vielen Städten feierten Menschen, die vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland geflüchtet sind, diese bedeutende politische Wendung.
Doch keine 24 Stunden nach der Nachricht von der politischen Wende in Syrien begannen in Deutschland öffentliche Diskussionen über den Schutzstatus von in Deutschland lebenden Geflüchteten aus Syrien. Diese Debatten, die sowohl von politischen Entscheidungsträgern als auch von Teilen der Zivilgesellschaft geführt werden, halten wir für hochproblematisch und für eine völlig falsche Antwort auf die derzeitige Situation.
Es ist zum jetzigen Zeitpunkt völlig unklar, wie sich die Lage vor Ort weiterentwickeln wird und welche politische Zukunft den Menschen in Syrien bevorsteht. Denn nicht nur innerhalb von Syrien gibt es unter den islamistischen Rebellengruppen verschiedene und zum Teil noch unklare Interessen, auch internationale Machtinteressen spielen weiterhin eine Rolle und können Einfluss auf die politische Zukunft des Landes nehmen. Während die USA weiterhin die Bekämpfung des IS priorisiert, hat die Türkei besonders die Interessen, die kurdische Autonomie zu verhindern und die Rückkehr der syrischen Geflüchteten aus der Türkei zu forcieren.
1. Die Realität der syrischen Geflüchteten in Deutschland
Viele der Menschen, um die es in den Debatten in Deutschland geht, haben sich nach einer langen, gefährlichen Flucht eine neue Existenz in Deutschland aufgebaut und große Anstrengungen unternommen, um sich in der Gesellschaft zurecht zu finden. Diese Menschen haben viel Energie und Frustrationstoleranz aufgebracht, um als Teil unserer Gesellschaft anerkannt zu werden. Sie mussten und müssen sich immer wieder Vorurteilen und Hass stellen, um zu beweisen, dass sie mehr als nur Geflüchtete sind.
Ein großer Teil dieser Menschen ist mittlerweile fest in Deutschland integriert. Sie arbeiten häufig in systemrelevanten Bereichen. Ihre Kinder gehen zur Schule, sie sind Nachbarn und Freunde. Sie haben sich in sämtlichen Bereichen des täglichen Lebens eingebracht und spielen deshalb eine Rolle in der Zukunft unseres Landes.
2. Ein falsches Signal der Unsicherheit und Ablehnung
Es ist daher nicht nur eine Frage der humanitären Verantwortung, sondern auch der gesellschaftlichen Kohäsion, diese Menschen nicht einfach fallen zu lassen. Ihnen jetzt den Rücken zu kehren und sie in ein Land zurückzuschicken, das weiterhin von Unsicherheit und Konflikten geprägt ist, wäre nicht nur unethisch, sondern auch unklug. Sie würden in einem Land ankommen, das gerade erst seine politische und soziale Struktur neu ordnen muss – ein Land, in dem sie von Null anfangen müssten, während sie hier in Deutschland bereits eine Zukunft aufgebaut haben.
Besonders problematisch wird es, wenn wir auf diejenigen schauen, die mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Für diese Menschen würde eine pauschale Rückkehrforderung ein verheerendes Signal senden: Es würde ihnen signalisieren, dass sie in Deutschland nicht mehr willkommen sind, dass ihr Status und ihre Zugehörigkeit in Frage gestellt werden. Dies ist nicht nur eine Missachtung der aufopferungsvollen Integrationsarbeit, die diese Menschen in den vergangenen Jahren geleistet haben, sondern auch eine Zerrüttung des Vertrauens in die deutsche Gesellschaft.
3. Der falsche Zeitpunkt für politische Entscheidungen
Natürlich ist es wichtig, denjenigen, die nach Syrien zurückkehren möchten, die notwendige Unterstützung zu bieten. Doch es ist zu früh, um den Aufenthaltsstatus von syrischen Geflüchteten pauschal zu überprüfen oder gar zu widerrufen. Die politische Lage in Syrien bleibt instabil und unvorhersehbar. In einem solchen Umfeld ist es sowohl unvernünftig als auch gefährlich, vorschnelle Entscheidungen über Rückführungen zu treffen.
Für diejenigen, die in Syrien keine Perspektive mehr sehen oder die aufgrund der anhaltenden Unsicherheit nicht zurückkehren können oder wollen, sollte die Unterstützung fortgesetzt werden. Für jene, die sich weiterhin um eine Einbürgerung bemühen, müssen wir sicherstellen, dass sie gleiche Chancen auf ein Leben in Sicherheit und mit Perspektive erhalten.
4. Ein Appell für Besonnenheit und Verantwortung
In dieser unklaren Situation rufen wir zu Besonnenheit und Verantwortung auf. Wir dürfen nicht vorschnell Maßnahmen ergreifen, die den geflüchteten Menschen, die so viel ertragen und geopfert haben, um hier ein neues Leben zu beginnen, erneut eine Perspektivlosigkeit aufzwingt. Außerdem darf in der grundsätzlichen Entscheidung um den Schutzstatus und die Zukunft von syrischen Menschen in Deutschland nicht ihre „Nützlichkeit“ für die Gesellschaft entscheiden, da so die Gefahr besteht, dass die individuelle Realität dieser Menschen nicht ausreichend bedacht wird. Statt auf Abschiebungen muss der Fokus auf Integration, Zukunftsperspektiven und die kontinuierliche Unterstützung von Menschen liegen, die sich bereits in unsere Gesellschaft eingebracht haben. Nur so können wir als Gesellschaft zusammenwachsen, die Menschen mit Fluchtgeschichte nachhaltig und ehrlich als Teile der Gesellschaft wahrnimmt.