Mittwoch, 14.10.2020, 20.30 Uhr
Transparenz-TV, Friedensfragen mit Clemens Ronnefeldt
Thema: Versöhnungsarbeit trotz Völkermord
Gast: Angela Krumpen
Angela Krumpen ist freie Radiojournalistin, Autorin und Moderatorin.
Die Sendung wird ihr Buch "Nur Versöhnung kann uns retten“ vorstellen,
für das die Autorin wegen der Sicherheitslage in Burundi erst nach
Ruanda reiste, um dort die Menschen aus Burundi zu treffen. Ein paar
Monate später gelang dann doch eine zweite Reise nach Burundi.
Es handelt von konkreter Friedensarbeit in Burundi nach dem Völkermord
zwischen Hutus und Tutsis ab dem Jahr 1993, der sowohl in Ruanda als
auch in Burundi jeweils hunderttausenden Menschen das Leben gekostet
hat.
Hauptperson ihres Buches ist Erzbischof Simon Ntamwana und ein von ihm
gegründetes „Versöhnungswerk“, das "Vie nouvelle pour la
réconciliation“, dem inzwischen mehrere hundert Menschen angehören.
Dieses hat sich ein neues Leben für alle Menschen in Burundi zur
Aufgabe gemacht und übt deswegen Versöhnung zwischen Opfern und Tätern
bzw. Täterinnen.
Die Sendung handelt von Personen, die extremen Hass und Gewalt erlebt
haben, aber auch von großem Mut und Liebe. Sie wird auch beleuchten,
wie Erzbischof Simon Ntamwana zum Friedensstifter wurde, welche
Stationen er dafür in Rom, als Landpfarrer und später als Bischof
durchlief.
Mit dem Friedensabkommen von Arusha 2005 keimte Hoffnung auf; es
führte zu einem Jahrzehnt relativer Ruhe und Frieden. 2015 wurde
diese Hoffnung zerstört - seitdem ist Burundi auf dem Weg in eine
Diktatur.
Das Interview wird die konkrete Versöhnungspraxis darstellen - und
beschreiben, wie Opfer und Täter sich begegnen und welche Chancen in
solchen Begegnungen liegen.
Die Sendung beenden wird der Begriff „Hoffnung“ als Haltung - und die
Sinnhaftigkeit von Handlungen auch ohne Aussicht auf Erfolg.
Mit Livechat am 14.10.2020 um 20.30 Uhr und danach dauerhaft unter:
oder
https://www.facebook.com/friedensfragen/?modal=admin_todo_tour
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Nachfolgend einige Artikel zum Thema Versöhnungsarbeit nach dem Völkermord:
https://www.n-tv.de/politik/Wie-das-Toeten-begann-und-endete-article20950069.html
Samstag, 06. April 2019
Völkermord in Ruanda
Wie das Töten begann und endete
(…) Versöhnung lässt sich nicht erzwingen, doch Hunderttausende
Gerichtsverfahren landesweit haben es möglich gemacht, eine Annährung
auf lokaler Ebene zu erwirken. Man muss sich vergegenwärtigen, dass
damals Nachbarn und Verwandte sich gegenseitig abgeschlachtet haben.
Nach dem Völkermord wurden deswegen landesweit Dorfgerichte
eingerichtet, die sogenannten Gacaca. Da traf sich jahrelang die
Dorfgemeinschaft, und die Täter mussten ihre Taten öffentlich zugeben
und die Überlebenden um Vergebung bitten. Dafür bekamen sie weitgehend
Amnestie. Wenn man mit Ruandern spricht, sagen die meisten, diese
Verfahren haben zur Vergebung und langfristig auch zur Versöhnung
beigetragen. (…)
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Ruanda: Versöhnungsarbeit 20 Jahre nach dem Völkermord
7.4.2014
(…) In einem Artikel im Bonner Generalanzeiger (Artikel vom 31.03.2014)
berichtet Lutz Warkalla etwa vom Memorial Center in Kigali, das als
Ruhestätte für 250.000 Tote und Museum ein Ort des Mahnens ist: "Never
again" steht dort zu lesen - "Niemals wieder". Er berichtet auch von
der Arbeit der ZFD-Fachkraft Lucia Fetzer, die in Ruanda ein Projekt
betreut, dass Täter und Opfer wieder zusammenbringt.
Dabei ginge es bei der Arbeit in den Gemeinden nicht um Entschuldigungen,
sondern um das Jetzt und die Möglichkeit wieder in Frieden miteinander reden
und leben zu können. Die Versöhnungsgruppen unter der Leitung der im
Projekt ausgebildeten Sozialarbeiterinnen sind eine Erfolgsgeschichte,
die Teilnehmerzahl wächst stetig. (…)
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Versöhnung und Einigkeit
Ruanda 25 Jahre nach dem Völkermord
Stand: 19.06.2019
Ruanda hat Bemerkenswertes geleistet bei der Aufarbeitung des Genozids
von 1994 und bei der Versöhnung seiner einst tief gespaltenen Bevölkerung.
Doch der Heilungsprozess bleibt schwierig. (…)
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7.4.2019
25 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda
Kann eine schuldige Kirche versöhnen?
Katharina Peetz im Gespräch mit Kirsten Dietric
Priester wurden zu Mördern, Kirchen zu Massengräbern. In den Völkermord in
Ruanda im Jahr 1994 waren die christlichen Kirchen tief verstrickt. Jetzt sollen sie
der Versöhnung dienen. Die katholische Theologin Katharina Peetz
forscht zur Rolle der Kirchen in Ruanda.
Peetz: (…) Ich habe viel von Praktiken der Versöhnung und des
Miteinander-Gehens und des Wieder-miteinander-Zusammenlebens gespürt.
Zum Beispiel ist mir Josephine vor Augen, die mir im Interview erzählt
hat, wenn ich das mit den Tätern zusammen mache, dann ist das wie ein
Fest, das wir feiern – und da blitzt für mich auch so etwas wie
Versöhnung auf.
Was diese Gruppe tut, ist zum Beispiel, dass sie Straßen bauen in ein
Dorf, das noch nicht so gut verkehrstechnisch erschlossen ist. Oder
Täter und Überlebende bauen zusammen Häuser auf, sowohl für
Überlebende, als auch für Menschen, die aus dem Gefängnis entlassen
worden sind, also ehemalige Täter, die in ihr Dorf zurückkehren. Und
sie bauen gemeinsam etwas an. Es geht darum, so etwas wie Alltag zu
teilen. Und in diesem Teilen von Alltag und diesem Tun werden dann
tatsächlich auch noch mal Vorstellungen von Vergeben und Versöhnung
realistischer.
Also, in den Tätern und Täterinnen passiert etwas, sie erkennen, dass
sie Schuld auf sich geladen haben, die eigentlich nicht vergebbar ist.
Sie spüren so etwas wie Reue, zumindest einige der Täter – nicht alle,
längst nicht alle. Es ist ja bei Massengewalt immer so, dass ganz
viele Täter keine Reue verspüren. Aber die, die in diesen Gruppen sind
und im Alltag auf die Überlebenden stoßen und mit denen
zusammenarbeiten, bei denen ist das eher der Fall. Und auch in den
Überlebenden verändert sich etwas. Also der Hass, die Rachegefühle,
die verändern sich noch mal, weil Menschen etwas gemeinsam tun. Und
das ist für mich ein ganz entscheidender Punkt, diese Praxis, vor Ort
zusammen tätig zu werden. (…)
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9.1.2020
Ruanda nach dem Völkermord
Der lange Weg zur Versöhnung
In Ruanda ermordeten radikale Hutu 1994 etwa eine Million Tutsi, Twa
und gemäßigte Hutu. Der Völkermord hat eine lange Vorgeschichte, die
bis in die Kolonialzeit zurückreicht – schon damals begann die
ethnische Segregation der ruandischen Gesellschaft. (…)
Auf der von Bismarck geführten Kongokonferenz 1885 in Berlin war das
damalige Königreich Ruanda der neuen Kolonie Deutsch-Ostafrika
zugeschlagen worden. Der Hamburger Völkerrechtler Dr. Gerd Hankel hat
sich intensiv mit dem Genozid und seiner Vorgeschichte befasst:
„Dass es zwei oder drei Bevölkerungsgruppen in Ruanda gab, das war
schon vor der Kolonialzeit so. Es gab Hutu, es gab Tutsi, und es gab
Twa, Pygmäen. Was allerdings die Kolonialherren, zunächst die
deutschen, dann ab 1916, die Belgier gemacht haben: Es sind
rassistische Theorien dort in Umlauf gebracht und angewandt worden,
aus denen dann zweifelsfrei hervorging, dass die Tutsi eine überlegene
Rasse seien, die Hutu, eine unterlegene Rasse und die Twa obskure
Wesen, die im Wald leben und sich, nun ja, auf zweifelhafte Weise
ernähren.“
Spaltung in Hutus und Tutsis
Als Tutsis galten diejenigen, die mehr als zehn Kühe besaßen, als
Hutus, diejenigen, denen weniger als zehn Kühe gehörten. Dabei gab es
auch arme Tutsis, die am Rande der Gesellschaft lebten, betont Gerd
Hankel:
„Aber die Kolonialherren stützten sich auf die reichen und
einflussreichen und trugen so zur immer größer werdenden Spaltung des
Landes zur Trennung zwischen Hutu und Tutsi bei.“ Rassistische
Theorien gewannen seit der Jahrhundertwende zunehmend an Boden und
wurden von Europa auch nach Afrika exportiert. „In den 1930er Jahren
begannen sie nun, Menschen anhand ihres physischen Erscheinungsbildes
zu klassifizieren – insbesondere aufgrund ihrer Nasen. (…)“
1961 riefen Hutu-Politiker die Republik aus, seit 1962 ist Ruanda
unabhängig. Die Hutus, die Benachteiligten von gestern, so Hankel,
waren die neue Elite, und die Elite von gestern, die Tutsis, nur noch
geduldet. Es kam zur Einführung eins Quotensystem: nur 15
Prozent Tutsis durften zum Beispiel noch im öffentlichen Dienst tätig
sein oder in die Schule gehen. Und in jedem Ausweis war die
Bezeichnung „Hutu“ oder „Tutsi“ vermerkt.
Versagen der Vereinten Nationen
„Am 6. April 1994 flogen Präsident Habyarimana und Präsident
Ntaryamira von Burundi nach Kigali, wo das Flugzeug gegen 18:40 Uhr in
der Nähe des Flughafens Kigali abgeschossen wurde. Danach verging nur
noch kurze Zeit bis in Kigali die Schüsse begannen, innerhalb einer
Stunde. Die Todeslisten waren schon vorbereitet worden. Das heißt,
sie waren bereit, die systematischen Tötungen der Tutsi in Ruanda in
Angriff zu nehmen.“
Bis heute ist nicht geklärt, wer die Präsidentenmaschine abgeschossen
hat, ob Tutsis oder Hutus. Klar aber ist: die Vereinten Nationen haben
alle Vorwarnungen und Rufe nach mehr Unterstützung ignoriert. (…)
100 Tage währte der Völkermord, dem schätzungsweise eine Million
Tutsis, aber auch gemäßigte Hutus zum Opfer fielen. Heute gibt es
diese Einteilung in Hutus und Tutsis nicht mehr, alle verstehen sich
als Ruander. Zumindest offiziell. Möglicherweise schwelt aber noch in
einigen Köpfen der alte Hass und wird auf die nächste Generation
übertragen. Dabei soll genau das verhindert und Versöhnung gefördert
werden. Darum bemüht sich auch Mary Balikungeri:
„Wissen Sie, wir sind ein Post-Genozid-Land, wir erleben eine totale
Transformation und eine Herausforderung für Menschen, die immer noch
Seite an Seite mit ihren Traumatoren und Überlebenden leben. Deshalb
sage ich, dass die Menschen sich öffnen müssen. Du wirst niemals
heilen, wenn du nicht sprichst, sprechen, das wird Räume öffnen.“
Was die juristische Aufarbeitung des Genozids betrifft, so hat sich
darum ab Ende 1994 zunächst der Internationale Strafgerichtshof
gekümmert, der in Arusha, in Tansania tagte. Angeklagt waren dort vor
allem die Drahtzieher des Völkermords. Ab 1996 wurden dann die
nationalen Strafgerichte in Ruanda aktiv. Gerd Hankel:
„Die führten etwa 600 Verfahren pro Jahr durch, beginnend 1996, also
zwei Jahre nach dem Völkermord. Das reicht natürlich nicht aus, um die
weit über hunderttausend Verdächtigen anzuklagen und zwar in einer
angemessenen Zeit anzuklagen. Deshalb griff man auf ein Instrument
zurück, dass man kannte aus der ruandischen Tradition, nämlich die
Gacaca-Gerichte, das waren Dorfgerichte.“
Konfrontation von Tätern und Opfern
Die Gacacca-Gerichte tagten zehn Jahre lang, von 2002 bis 2012. Diesen
Gerichten saßen Laien-Richter und erstmals auch Richterinnen vor,
Hutus wie Tutsis, gewählt von der Dorfbevölkerung.
„Die Idee dahinter war eigentlich eine ganz gute Idee, nämlich die
Verhandlungen dort stattfinden zu lassen, wo auch die Verbrechen
begangen worden sind. Das heißt also, die Täter mit den Überlebenden
zu konfrontieren, umgekehrt auch, und den Überlebenden die Gelegenheit
zu geben, ihre Verletzungen zu zeigen, auch ihre Empörung, ihre Wut
kundzutun.“
Einige Hinterbliebene erfuhren von den Tätern, wo ihre getöteten
Familienmitglieder verscharrt wurden. So bekam sie die Chance, deren
sterbliche Überreste in Würde zu begraben. (…)